Oft ratlos, aber niemals radlos.

Will man sich heutzutage ein neues Fahrrad kaufen, wird man sich in aller Regel vorher dazu informieren. Sei es im Internet oder im Fachhandel oder auch bei guten Freunden, die mal mehr, oder mal weniger Ahnung von der Materie haben. Das Problem der mehr oder weniger Ahnung, trifft Euch leider auch im Internet und Fachhandel, also unterschätzt Eure Freunde nicht.

Wenn man sich darüber im Klaren ist, welche Art von Fahrrad man möchte (Rennrad, Gravel, Cyclocross, Citybike usw.), geht es an die konkrete Auswahl eines bestimmten Modells. Sehr zügig fallen meist die Begriffe der ‘Fahrradgeometrie’ und der Fahreigenschaften eines bestimmten Fahrradmodells. Da heißt es dann, diese Modell wäre sehr agil, wohingegen das andere Modell eher laufruhig wäre. Weiterhin geht es zügig um die Frage, wie man denn auf dem Fahrrad sitzt. Ist es eher komfortabel oder sportlich? Und sofort wird man mit Fachbegriffen zugeschüttet, wie z.B. Stack, Reach, Steuerrohrwinkel, Radstand, Kettenstrebenlänge, Tretlagerabsenkung, Gabelvorbiegung (auch ‘Offset’ genannt), Vorbaulänge usw. usw. usw.

Nun versuchen wir mal ein wenig Struktur in diese Fragen zu bringen, und am Ende werden wir hoffentlich feststellen, dass das ganze mal wieder gar nicht so kompliziert ist, wie es Anfangs den Anschein hatte.

Fahreigenschaften und Sitzposition

Die Fahreigenschaften und die Sitzposition sind die zwei wesentlichen Elemente, mit denen man sich bei der Auswahl eines konkreten Fahrradmodells beschäftigt.

Sowohl die Fahreigenschaften, als auch die Sitzposition, werden im Wesentlichen durch die Fahrradgeometrie beeinflusst, als die Maße und Winkel der Elemente des Fahrradrahmens und der Anbauteile. Wichtige Parameter der Fahrradgeometrie sind z.B. Radstand, Tretlagerhöhe, Lenkwinkel, Nachlauf oder die Länge der verschiedenen Rohre des Rahmens.

Die einzelnen Elemente eines Fahrrads bzw. deren Veränderung haben entweder wesentlichen Einfluss auf die Fahreigenschaften oder auf die Sitzposition des Fahrers (und damit den Fahrkomfort). Nun handelt es sich bei einem Fahrrad um ein dynamisches bzw. komplexes System. D.h. das sich die einzelnen Elemente des Systems gegenseitig beeinflussen. Insofern haben Veränderungen an der Fahrradgeometrie immer Auswirkungen auf die Fahreigenschaften und den Fahrkomfort zur Folge. Diese Effekte sind teils stärker, teils schwächer ausgeprägt.

Fahreigenschaften und deren wesentliche Einflussfaktoren

Bei der Frage der Fahreigenschaften eines Fahrrads, geht es im Wesentlichen darum, wie sensibel (agil) es auf Lenkbewegungen reagiert, d.h. wie wendig bzw. agil (oder instabil), oder im Gegensatz dazu, wie laufruhig bzw. schwerfällig ein Fahrrad zu steuern ist,

Am Anfang und Ende der obigen Grafik könnte man jeweils noch ein ‘unfahrbar’ ergänzen.

Die notwendige bzw. gewünschte Agilität des Fahrrads hängt einerseits natürlich von seinem grundsätzlichen Einsatzzweck ab, aber auch vom seitens des Fahrers gewünschten Fahrverhaltens. Ein Rennrad ist z.B. aufgrund seines angedachten Einsatzgebietes in aller Regel agiler und wendiger ausgelegt als ein Tourenrad, allerdings gibt es auch innerhalb des Einsatzgebietes eines Rennrads spezifischere Anforderungen. So wird man ein Rennrad, welches für Kurzstreckenrennen gedacht ist, deutlich agiler und wendiger gestalten, als ein Marathonrennrad, welches oftmals über viele Stunden und lange Strecken hinweg bewegt wird.

Nun zu den wesentlichen Einflussfaktoren der Fahrradgeometrie, welche die Agilität des Fahrrads bestimmen.

Nachlauf bzw. Trail

Den größten Einfluss auf die Agilität und damit das Lenkverhalten des Fahrrads hat der sog. Nachlauf (im Englischen ‘Trail’ genannt). In vielen Beiträgen wird oftmals fälschlicherweise behauptet, dass der Radstand die wesentliche Größe für die Agilität wäre, und die Veränderung des Nachlaufs die Agilität durch die zwangsläufige Änderung des Radstands bewirkt. Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass ein Anpassung des Nachlaufs auch den Radstand verändert, allerdings hat der Radstand für sich genommen eine geringere Auswirkung auf die Agilität des Fahrrads als der Nachlauf als solcher.

Der Nachlauf ist der horizontale Abstand zwischen dem Aufstandspunkt des Rades auf der Straße (senkrecht unter der Radachse) und der Verlängerung des Steuerrohrs. In obiger Grafik handelt es sich um einen positiven Nachlauf, da die Verlängerung des Steuerrohrs vor dem Aufstandspunkt des Rades liegt. Von einem negativen Nachlauf spricht man demnach, wenn die Verlängerung des Steuerrohrs hinter dem Aufstandspunkt liegen würde.

Je größer der Nachlauf ist, desto spurtreuer und laufruhiger reagiert das Fahrrad auf Lenkbewegung. Im Gegensatz wird es umso agiler und wendiger, je kürzer der Nachlauf ist.

Und warum ist der Nachlauf nun so wichtig, für das Fahrverhalten des Fahrrads? Wir alle kennen, mehr oder weniger bewusst, das Verhalten eines Fahrrads, dass wir im Gehen neben uns, mit einer Hand am Sattel, herschieben. Wenn wir nun das Fahrrad ein wenig nach links kippen, lenkt auch der Lenker nach Links ein. Und sicherlich haben wir alle schon als Kinder unseren Fahrrädern einen kräftigen Schubs gegeben, und dabei zugesehen, wie das Fahrrad (ab einer gewissen Mindestgeschwindigkeit) eine Schlangenlinie fährt, aber nicht umkippt. Es richtet sich immer wieder gegen die Kipprichtung auf, kippt in die andere Richtung und richtet sich wieder auf. Das geht so lange gut, bis eine notwendige Mindestgeschwindigkeit unterschritten wird, und das Fahrrad umfällt.

Ohne jetzt mit mathematischen Formeln arbeiten zu wollen, versuche ich mal die grundlegend wirkenden Prinzipien erklären. Das Internet ist reicht an wissenschaftlichen Arbeiten dazu, wenn man tiefer in die Materie einsteigen möchte.

Nach aktuellem Stand der Wissenschaft (und hier muss man etwas einschränken, weil es mittlerweile Hinweise gibt, dass der aktuelle Stand der Erkenntnisse noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist), spielt für die Selbststabilisierung des fahrenden Rads der gyroskopische Effekt der sich drehenden Laufräder (Kreiselkräfte der rotierenden Reifen) eine wesentliche Rolle. Vereinfacht gesagt, führen die Kreiselkräfte dazu, dass die Radachse, die bei Störungen ausgelenkt wird, immer wieder in ihre Ausgangslage zurückkehrt. Sobald das Fahrrad zu kippen beginnt, sorgt der gyroskopische Effekt dafür, dass der Lenker in die Kipprichtung ausschlägt und hierdurch die Räder wieder unter das Fahrrad wandern, und das Fahrrad daraufhin wieder zur anderen Seite kippt.

Neben diesem Effekt, führt aber auch der Nachlauf dazu, dass das Fahrrad eine Lenkbewegung in die Kipprichtung ausführt, da die größere Masse des Rads vor dem Aufstandspunkt (bei positivem Nachlauf) zu einem ‘schnelleren’ Kippen des Rades führt und dies zur erwähnten Lenkbewegung führt. Je größer nun der Nachlauf ist, desto größer ist entsprechend auch das Verhältnis der Masse des Rades, welche vor dem Aufstandspunkt liegt, was diesen Effekt stärker ausprägt. Tatsächlich scheint der Effekt des Nachlaufs auf die Selbststabilisierung des Fahrrads der deutlich wichtigere Stabilisierungseffekt zu sein. Wissenschaftler in Holland haben ein Fahrrad entwickelt, welches den gyroskopischen Effekt der Räder neutralisiert hat, welches aber aufgrund des stabilisierenden Nachlaufeffekts trotzdem stabil geradeaus fuhr. In der Realität tragen zwar beide Effekte zur Stabilisierung bei, aber wie erwähnt, scheint der Nachlauf hier die deutlich größere Bedeutung zu haben.

Womit letztlich auch erklärt wäre, weshalb der Nachlauf eine so große Bedeutung für die Stabilität des Fahrrads und damit das Fahrverhalten hat.

Radstand

Neben dem Nachlauf spielt auch der Radstand eine wichtige Rolle auf das Fahrverhalten des Fahrrads.

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